57 Fotos, Maßen, Zahlen als Ritual

Einerseits denke ich mir, ich sollte sowohl das Messen als auch das Fotografieren meines Bauches sein lassen bzw. Fotos nur alle zwei Wochen beim Wiegen mit aufnehmen. Doch an manchen Tagen, wenn ich mit meinem Bauch zufrieden bin, überkommt es mich dann doch, dieses Bild einzufangen.
Und so begann mein Morgen.

Bereits beim Aufwachen hatte ich Hunger und zugleich das Gefühl, dass wenn ich nicht bald esse, mir schwarz vor Augen werden könnte. Dieses Gefühl hatte ich zum Glück schon ewig nicht mehr.
Der riskierte Blick in den Spiegel war euphorisch. Diesen Augenblick musste ich bildhaft festhalten!
Doch im Nachhinein, beim Betrachten der Bilder, war schnell klar:
Ich bin heute doch nicht so flach wie mir mein erster Eindruck weiszumachen versuchte.
Der Unterbauch war zu dick. Er wölbte vor.
Die Enttäuschung folgte schlagartig.

Ich googelte nach Bildern von Bodybuilderinnen, gab Schlagworte ein wie „Untergewicht + Krafttraining + Bauch vorgewölbt“.
Es ist keine Überraschung, dass die Fotos der Fitnessdamen kaum mit mir zu vergleichen sind. Bei diesen prallen Bauchmuskeln (oder generell bei den vollen Muskeln) kann ich nicht mithalten, auch wenn sich bei mir ein „Fourpack“ eingenistet hat. Doch der Unterbauch ist stets zu dick…
Ist es doch Fett? Bei meiner Googlesuche traf ich wieder auf den Begriff „skinny fat“.
Nur kann es das bei mir sein!?


Zwei Tage später dasselbe Spiel:
Mein „Morgenritual“ zog mich vor den Spiegel.
„Ja, es ist soweit! Der Unterbauch ist fast flacher als der obere Bauch!“, freute ich mich.
Nun musste ich es aber wissen: Zahlen, Fakten, keine optische Täuschung hinnehmen!
Ich griff zum Maßband.
Weitere vier Tage bis zum Wiegetag konnte ich nicht warten.
Selbst die Taillen- und Hüftmaße waren etwas weniger als zuletzt, was zusätzlich meine Euphorie bestärkte.
Zum Abrunden und Beenden des Rituals musste ich auch diesen Moment fotografisch festhalten – wieder ein Fehler? Denn beim Fotografieren und auf den Bildern sah ich dann doch „mehr“ aus als zuerst angenommen.
Erneut grabschte ich nach dem Maßband, kontrollierte, ob ich mich vermessen hatte. Doch es blieb dabei: Die Werte waren ca. vier Millimeter geringer als beim letzten Messen vor drei Tagen.
Vier Millimeter sind nichts, wird der ein oder andere sagen.
Doch wenn du quasi mit Zahlen groß geworden bist, die dein Essverhalten prägten, einen Kontrollzwang verursachten und generell Lebensbereiche beeinflussten, entwickelst du eine andere Beziehung dazu.

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